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Die Energiewende schaffen wir nur gemeinsam

Wie geht es weiter mit der österreichischen Stromversorgung? Eine Vertreterin der E-Wirtschaft, ein Vertreter der Arbeiterkammer und ein IKB-Experte sind sich einig, dass die großen Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam bewältigt werden können.

Im Gespräch:

  • Dr.in Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie
  • Dr. Domenico Rief, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik in der Arbeiterkammer Tirol
  • Reinhard Fohringer, MA, Energieexperte in der IKB

Das Timing könnte wahrlich besser sein: Die Strombranche steht vor der Jahrhundertaufgabe, die Energiewende zu schaffen und das Land so bald wie möglich mit 100 Prozent erneuerbarem Strom zu versorgen. „Und gerade jetzt haben wir viel Vertrauen in der Bevölkerung verloren“, sagt Dr.in Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, der Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft. „Neben dem Umbau des Energiesystems im laufenden Betrieb müssen wir jetzt auch daran arbeiten, dieses Vertrauen wiederzugewinnen.

Enttäuschte Kundinnen und Kunden

Was ist passiert? „Sehr viele Stromkund:innen sind derzeit von ihren Energieversorgern enttäuscht“, sagt Dr. Domenico Rief, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik in der Arbeiterkammer Tirol. „Extreme Preiserhöhungen im vergangenen Jahr, unleserliche und komplizierte Schreiben an die Kund:innen sowie die erfolgten Massenkündigungen von Altverträgen haben ihren Teil dazu beigetragen.“ „Dass das nötig war, ist besonders ärgerlich, da wir das Land zuerst gut durch die Corona-Krise und dann gut durch die Energiekrise gebracht haben“, meint Schmidt. „Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine stand eine Zeitlang sogar die Frage im Raum, ob wir überhaupt genug Strom und Gas haben würden. Auf diese Szenarien haben wir uns sehr gut vorbereitet. Das Gas ist zwar nicht ausgegangen, wurde aber 2021 doch so knapp, dass 2023 – also lange nach den Preissteigerungen im Großhandel – massive Strompreiserhöhungen nötig wurden.“

Warum auch die IKB die Preise erhöhen musste

Auch die IKB musste die Strompreise für ihre Kund:innen erhöhen. Sie betreibt selbst Kraftwerke, die rund 300 Gigawattstunden Strom im Jahr erzeugen – die verkaufte Menge beträgt aber rund 650 Gigawattstunden, also mehr als das Doppelte. „Dazu kommt das Problem der Saisonalität“, erklärt Reinhard Fohringer, MA, Energieexperte in der IKB. Die Wasser- und Photovoltaikkraftwerke erzeugen im Sommer viel mehr Strom als im Winter, wenn der Verbrauch am höchsten ist. Daher muss auch die IKB große Mengen an Strom von anderen Energieversorgungsunternehmen zukaufen – und musste dafür in den vergangenen Monaten teils extrem gestiegene Preise bezahlen.

Preisänderungen vor Gericht

Das Problem dabei, so Fohringer: „Es ist klar, dass die Preiserhöhungen nötig waren. Aber es ist nicht klar, nach welchen Kriterien wir unsere Preise ändern dürfen.“ Das Rechtssystem sei auf derart massive Preisänderungen nicht vorbereitet gewesen, sagt auch Schmidt: „Die unklare Rechtslage hat dazu geführt, dass unter anderem der Konsumentenschutz Verfahren gegen die Änderungen angestrebt hat. Mittlerweile sind alle Varianten der Preisänderungen vor Gericht.“ 

Eine Folge davon: In vielen Unternehmen hätten die Jurist:innen die Kommunikation mit den Kund:innen übernommen. Das habe sich natürlich auf die Verständlichkeit der Kommunikation ausgewirkt. Die Branche hofft jedenfalls, dass ein neues Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) bald für mehr Klarheit und Rechtssicherheit sorgen wird.

„In vielen Unternehmen haben Jurist:innen die Kommunikation mit den Kund:innen übernommen. Das hat sich auf die Verständlichkeit ausgewirkt.“

Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie 

Arbeiterkammer: „mehr Transparenz“

Die Arbeiterkammer sieht das anders: „Die Konsument:innenrechte sind sehr umfassend geregelt. Wir sehen bei den aktuellen rechtlichen Grundlagen für Preisänderungen keinen Änderungsbedarf“, so Rief. „Mangels höchstgerichtlicher Judikatur ist jedoch aus Sicht der Energieversorger keine Rechtssicherheit dahingehend gegeben, dass diese Bestimmungen tatsächlich so weit im Sinne der Konsument:innen auszulegen sind, wie dies ein Gutachter im Auftrag der AK Anfang 2023 getan hat. Die AK kämpft insbesondere für mehr Transparenz im Bereich der Preisgestaltung insbesondere jener Stromanbieter, welche den Großteil der Energie über eigene Wasserkraftwerke selbst erzeugen, ihre Endkundenpreise aber an den internationalen Strommärkten orientieren.“

Wie ist das mit den sogenannten Übergewinnen? In der Tat hätten manche Unternehmen in der Hochpreisphase gut verdient, sagt Schmidt von Oesterreichs Energie. Aber nur Stromproduzenten, die mit eigenen, bereits abgeschriebenen Wasserkraftwerken ihren Strom in der Hochpreisphase teuer verkaufen konnten. „Die Lieferanten auf der anderen Seite, die die Kundinnen und Kunden mit dem Strom versorgen, mussten den Strom teuer im Großhandel einkaufen. Diese Kosten wurden nicht einmal ganz weitergegeben. Bei den Stromlieferanten sehen wir keinerlei Übergewinne.“

Gebot der Stunde: mehr und bessere Kommunikation

Wie kann die Beziehung zwischen verunsicherten Kund:innen und Stromwirtschaft wieder verbessert werden? „Hierfür würden verständliche Anschreiben oder zumindest eine verständliche Zusammenfassung der Inhalte bei Änderungen der allgemeinen Lieferbedingungen oder nachvollziehbare Erläuterungen über die Gründe von Anpassungen helfen“, so Rief. „Auch eine zeitnahe Preissenkung als Reaktion auf die fallenden internationalen Stromkosten wäre sicher von Vorteil.“ Der Arbeiterkammer-Experte beobachtet, dass viele Menschen in den vergangenen zwei Jahren deutlich kritischer geworden sind, wenn es um die Stromabrechnung geht, und dass ein erhöhtes Interesse an Beratungsleistungen der Arbeiterkammer im Bereich Energie besteht.

Das bedeutet aber nicht, dass die Wechselbereitschaft gestiegen ist. „Trotz teilweise großer Preisunterschiede ist die Wechselbereitschaft der Kundinnen und Kunden sehr überschaubar“, sagt Rief. Oftmals gebe es auch negative Erfahrungen im Bekanntenkreis bei einem Wechsel zu einem Alternativanbieter, der im Zuge der Energiekrise Preisgarantien gebrochen und Verträge gekündigt hat. Die extremen Preissteigerungen bei Strom, Gas und Fernwärme im Jahr 2023, auch bei alteingesessenen Anbietern, hätten die Konsument:innen in diesem Bereich sensibilisiert. „Das grundsätzliche Vertrauen, welches in die im öffentlichen Eigentum stehenden Energieversorger bestanden hat, wurde dadurch stark erschüttert.“ Hohes Interesse ist an sich eine gute Voraussetzung für geglückte Kommunikation. Allerdings gebe es sehr unterschiedliche Kund:innen, betont Schmidt von Oesterreichs Energie: „Manche sind sehr aktiv und wollen ständig informiert sein, andere möchten sich am liebsten um nichts kümmern. Die Strombranche muss viel kundenspezifischer kommunizieren und hier vor allem stärker auf digitale Kanäle setzen.“

„Das grundsätzliche Vertrauen, welches in die im öffentlichen Eigentum stehenden Energieversorger bestanden hat, wurde stark erschüttert.“

Domenico Rief, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik in der Arbeiterkammer Tirol

Energiewende braucht Unterstützung

Das Vertrauen zwischen Bevölkerung und Stromwirtschaft ist eine notwendige Voraussetzung, damit Österreich die Energiewende stemmen kann. „Die Energieunternehmen schaffen das nicht allein, wir brauchen die Unterstützung der Menschen“, so Schmidt. Der Optimalfall: Möglichst viele installieren private Photovoltaikanlagen und steigen auf erneuerbare Heizformen und ebensolche Mobilität um. „Das Mindeste wäre aber“, so Schmidt, „die nötige Infrastruktur zu akzeptieren und nicht gegen Windparks, Freiflächenphotovoltaik oder Stromleitungen aufzutreten.“

Die Zukunft der Stromrechnung

Eine weitere Herausforderung: Das Energiesystem insgesamt dürfte teurer werden – und damit die Stromrechnung höher. „Der Strommarkt hat sich wieder beruhigt, wenngleich das Preisniveau von vor zwei Jahren nicht mehr erreicht wurde und wohl auch nicht mehr erreicht werden wird“, so Rief von der Arbeiterkammer. „Auch die Goldgräberstimmung bei einigen Anbietern von eigenerzeugter grüner Energie hat sich gelegt. Wir sehen jedoch im Bereich der Netzkosten starke Preissteigerungen auf die Endkund:innen zukommen, da insbesondere die Schaffung von dezentralen Photovoltaikanlagen sowie die steigende Elektrifizierung der Mobilität und Wärmegewinnung einen Netzausbau dringend erforderlich machen.“

Auf ein spezielles Problem weist Rief in diesem Zusammenhang hin: „Die Netzkosten werden von immer weniger Endkunden getragen, da die private Eigenversorgung über Photovoltaikanlagen zunimmt. Steigende Netzkosten treffen also auf eine geringere Kundenzahl, was die Belastung für den Einzelnen oder die Einzelne erhöht. Eine Verteilung der Netzkosten auf eine größere Gruppe an Zahlenden – auch aus der Industrie, dem Gewerbe oder Energiehändlern – ist daher zukünftig unumgänglich.“

Strom wird wertvoller

Strom wird im Österreich der Zukunft eine noch wichtigere und wertvollere Rolle spielen als heute. Der Umstieg auf erneuerbare Energien führt dazu, dass Strom auch in der Mobilität – mit E-Autos – und im Bereich der Wärme – mit Wärmepumpen – die Energieform der Wahl sein wird. „Wir schätzen daher, dass sich der Stromverbrauch bis 2040 verdoppeln wird“, so Schmidt von Oesterreichs Energie. Die Erzeugungskapazitäten müssen also auch entsprechend wachsen. Und die Netzleistung noch mehr, da die Stromerzeugung stark schwanken wird.

„Daher werden Speicher die Schlüsseltechnologie der Energiewende sein“, sagt IKB-Experte Fohringer. „Wir benötigen große, langfristige Speicher, mit denen wir den Stromüberschuss vom Sommer in den Winter verlagern können.“ Wasserstoffspeicher könnten hier eine zentrale Rolle spielen, der Markt für Wasserstoff sei jedoch erst im Entstehen.

„Wir benötigen große, langfristige Speicher, mit denen wir den Stromüberschuss vom Sommer in den Winter verlagern können.“

Reinhard Fohringer, Energieexperte in der IKB

Energie für die Menschen

Letztlich haben diese technologischen Fortschritte den Menschen zu dienen. „Energie und insbesondere Strom sind aus unserer Sicht ein elementarer Bestandteil der Daseinsvorsorge“, sagt Rief. „Energie ist ein unumgänglicher Bestandteil des täglichen Lebens. Gerade die im öffentlichen Eigentum stehenden Energieversorger haben darauf zu achten, dass sie jedem Bürger und jeder Bürgerin zu einem leistbaren Preis zur Verfügung stehen.“


„Mit Strom bin ich viel effizienter“

Die Energiezukunft Tirols baut auf lokalen Ressourcen auf. Strom werde eine deutlich größere Rolle spielen als heute, erklärt IKB-Nachhaltigkeitsbeirätin Angela Hofmann.